Brief von Arnold Schönberg an Ferruccio Busoni (Berlin, 22. Januar 1912) Letter by Arnold Schönberg to Ferruccio Busoni (Berlin, 22 January 1912) Arnold Schönberg Prepared by Clemens Gubsch Digitization by Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin Berlin Attribution-NonCommercial-ShareAlike 4.0 International (CC BY-NC-SA 4.0) Ferruccio Busoni – Briefe und Schriften Briefe Briefwechsel Ferruccio Busoni – Arnold Schönberg Christian Schaper Ullrich Scheideler Deutschland Berlin Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv Nachlass Ferruccio Busoni Mus.Nachl. F. Busoni B II, 4559 Mus.ep. A. Schönberg 20 (Busoni-Nachl. B II) Kalliope-Verbund DE-611-HS-736439 Schönberg hat die Besetzung für die Uraufführung der Orchesterstücke op. 16 (achthändige Fassung) zusammengestellt; rezensiert begeistert Busonis Berceuse élégiaque und Klavierkonzert; moniert an letzterem lediglich die unglaublich unrichtige[] Instrumentation: das Thema müsse meistens als Begleitung zu den Nebenstimmen erscheinen. nun habe ich die Besetzung für meine 1 Bogen 3 beschriebene Seiten Foliierung mit Bleistift unten rechts auf den Vorderseiten durch das Archiv. Der Brief ist gut erhalten; Umschlagaufriss oben (ohne Textverlust). Hand des Absenders Arnold Schönberg, Brieftext in schwarzer Tinte, in deutscher Kurrentschrift Adressstempel des Absenders Arnold Schönberg, mit violetter Tinte Hand des Archivars, der mit Bleistift die Signaturen eingetragen und die Foliierung vorgenommen hat Hand des Archivars, der die Zuordnung innerhalb des Busoni-Nachlasses mit Rotstift vorgenommen hat Bibliotheksstempel (rote Tinte) Bibliotheksstempel (blaue Tinte) Hand Gerda Busonis, die auf dem Umschlag den Absendernamen vermerkt hat Zehlendorf 22.1.12.4–5N. (Wannseebahn) 1b
Herrn Ferruccio Busoni Berlin W30 Viktoria Luisep-Luise-Platz 11
Arnold Schönberg, Berlin-Zehlendorf-Wannseebahn Machnower Chaussee, Villa Lepcke.
Nachlaß Busoni B II Mus.ep. A. Schönberg 20 Mus.Nachl. F. Busoni B II, 4559-Beil. Schönberg
Zehlendorf , S. 190 , S. 192 f. (Brief), S. 113–116 (Kommentar) , S. 414 f.

Erfassung von Briefen und Schriften von Ferruccio Busoni, ausgehend von Busonis Nachlass in der Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz.

Worttrennungen an Zeilenumbrüchen im Original mit Doppelbindestrichen (⸗).

Alle im Text vorkommenden Interpunktionszeichen wurden beibehalten und werden in der diplomatischen Umschrift wiedergegeben. Bei Auszeichnung durch XML-Elemente wurden anschließende Satzzeichen nicht mit einbezogen.

Anführungszeichen wurden i. d. R. nicht beibehalten; die Art der Zeichen wurde im Attribut rend der entsprechenden Elemente codiert.

Die Übertragung folgt den Editionsrichtlinien des Projekts.

Schönberg, Arnold Berlin Busoni, Ferruccio Berlin Revisionselement hinzugefügt, status todo Layoutelemente der vorliegenden Transkription (Clemens Gubsch) durchgesehen, status unfinished
Mus.ep. A. Schönberg 20(Busoni-Nachl.B II)
Arnold Schönberg, Berlin-Zehlendorf-Wannseebahn Machnower Chaussee, Villa Lepcke.
22/1. 1912
Mus.Nachl. F. Busoni B II, 4559

Lieber verehrter Herr Busoni, nun habe ich die Besetzung für meine 8-händige Orchesterstück- Aufführung beisammen. Die Neuartigkeit von Schönbergs Orchesterstücken, vor allem aber ihre enorm große Orchester-Besetzung, verhinderte lange Zeit die Uraufführung der Stücke. Daher veranlasste Schönberg eine Bearbeitung für Klavier, wovon die Nummern 1, 2 und 4 im Rahmen einer Matinée am 04.02.1912 im Berliner Harmoniumsaal erstmals aufgeführt wurden. (, S. 44) Schönberg hatte zunächst Busoni und dessen Schüler Egon Petri gefragt, ob sie bei der Aufführung mitwirken wollen. (, S. 9) Offenbar aufgrund von Zeitmangel lehnten beide ab. Es ist zu vermuten, dass Busoni quasi als Ausgleich Schüler von sich vermittelte und Schönberg hier darauf Bezug nimmt. Beim Konzert traten letztlich die Busoni-Schüler Louis Closson, Louis Gruenberg und Eduard Steuermann sowie Schönbergs Schüler Anton Webern als Pianisten in Erscheinung. (, S. 145) Und jetzt, wo ich nicht mehr in den Verdacht kommen kann – denn diese Möglichkeit hielt mich tatsächlich ab – daßss ich mir durch Schmeichelei Ihre Mitwirkung errobern will, kann ich Ihnen über Ihre Kompositionen mit aller Wärme das sagen, wozu es mich drängt. Schönberg hatte am 19. Januar 1912 gemeinsam mit seinem Schüler Anton Webern ein Konzert in Berlin unter der Leitung Oskar Frieds besucht, in dem drei Werke Busonis zur Aufführung gelangt waren: die Fantasia contrappuntistica, allerdings in einer Bearbeitung für Orgel und Orchester, die Berceuse élégiaque sowie das Klavierkonzert. (, S. 113)

Am nächsten gieng mir die Berceuse, die ein sehr schönes, tief ergreifendes Stück ist. Die hat durchaus, vom Anfang bis zum Schlußss stark auf mich gewirkt und mich, wie gesagt, wirklich bewegt. Dann aber hat mir auch das Klavier-Kkonzert, das mir seinerzeit in Wien Gemeint ist evtl. die Aufführung von Busonis Klavierkonzert am 13.12.1910 im Wiener Musikverein. (vgl. Anmerkung im vorherigen Brief) (ich sage es ehrlich) gänzlich mißssfallen hat, diesmal auch ausgezeichnet gefallen. Ich verstehe das nicht, und es scheint, daßss wir, die wir zu den Besten zu gehören glauben, doch oft genug versagen. Ich hatte wirklich einen ausgezeichneten Eindruck. Das Stück ist von A bis Z ein Satz von fabel DeutscheStaatsbibliothekBerlin [1] hafter Architektur, ununterbrochen fließend, voller Einfälle und wunderbarer Stimmungen. Stau nenswert ist es, daßss Sie sich über ein so großes umfangreiches Stück immer den UeÜberblick ge wahrt haben, daßss es wirklich als etwas einheitliches ununterbrochenes wirkt. Nun: bei der Fuge kam ich zu keinem rechten Genußss wegen der sehr schlechten Aufführung und der unglaublich unrichtigen Instrumentation. Ich sagte zu Webern während des Konzerts: Man hört gar nie die Hauptstimmen, sondern immer nur das Thema. Das ist zu gleichen Theilen Schuld der Aufführung und der Instrumentation. Denn bei der Fuge sind es naturgemäß die Nebenstimmen, welche die zusammen hangbildenden Gegensätze herbei schaffen. Aber die ausschließliche Hervorhebung der Hauptthemen, die macht sich sehr gelehrt, bringt aber nie eine Musik- Wirkung hervor. Ich meine fast, das Thema mußss meistens als Begleitung zu den Nebenstimmen erscheinen. Das Thema ist Bei (190) und (193) fehlt ist. sozusagen die Grundfarbe, der neutrale Hintergrund, aufs dem die Zeichnung, die Formen und Farben hervortreten sollen. Wenn aber der Hintergrund hervortritt (!!!), dann liegt alles UeÜbrige im Schatten. Jede Stimmung, jeder Flußss, alle Gegensätze hören sich auf. — Nichtsdestoweniger spürte ich – was mir ja auch vom Lesen der Klavierausgabe her bekannt war – demn großen Zug und die Ausdruckskraft auch dieses Werkes. Vor Aallem aber die kontrapunktische Kunst!

Es ist mir ein großes Vergnügen, Ihnen das Alles sagen zu können, denn vielleicht konnte ich zu Ihnen jenes richtige Verhältnis bis jetzt noch nicht finden, weil ich zu Ihren Kompositionen in einem schiefen Verhältnis stand. Nun ich aber zu meiner größten Freude, Sie auch von dieser Seite her schätzen gelernt habe, hoffe ich, daßss das bestimmt anders sein wird. Ich habe Sie natürlich als Reproduczierendern, (190) und (193): Reproducierenden. als KCharakter und Menschen immer geschätzt. Aber mir ist der Prozduzierende das Wichtige und deshalb wurde ich Ihnen bisher nicht gerecht.

Ich grüße Sie vielmals herzlichst und bin Ihr ergebener Arnold Schönberg

NB Möchten Sie nicht eine Probe meiner Orchesterstücke an hören? Die erste ist bei Ibach (Steglitzer Straße 38) am Dienstag um 3 Uhr!

[2] [Rückseite von Textseite 3] DeutscheStaatsbibliothekBerlin Nachlaß Busoni