Erfassung von Briefen und Schriften von Ferruccio Busoni, ausgehend von Busonis Nachlass in der Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz.
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Was sucht Ihr? Sagt! Und was erwartet Ihr?Ich weiß es nicht; ich will das Unbekannte! Was mir bekannt, ist unbegrenzt. Ich will darüber noch. Mir fehlt das letzte Wort.
Ich fühlte … daß ich kein englisches und kein lateinisches
Buch schreiben werde: und dies aus dem einen Grund …
nämlich weil die Sprache, in welcher nicht nur zu schreiben,
sondern auch zu denken mir vielleicht gegeben wäre, weder
die lateinische, noch die englische, noch die italienische und
spanische ist, sondern eine Sprache, von deren Worten mir
auch nicht eines bekannt ist, eine Sprache, in welcher die
stummen Dinge zu mir sprechen und in welcher ich vielleicht
einst im Grabe vor einem unbekannten Richter mich verant
worten werde.
Der literarischen Gestaltung nach recht locker aneinander
gebnis von lange und langsam gereiften Überzeugungen.
In ihnen wird ein größtes Problem mit scheinbarer Un
befangenheit aufgestellt, ohne da
letzten Lösung gegeben werde, weil das Problem auf Men
schenalter hinaus nicht – wenn überhaupt – lösbar ist.
Aber es begreift in sich eine unaufgezählte Reihe min
derer Probleme, auf die ich das Nachdenken derjenigen
lenke, die es betrifft. Denn recht lange schon hatte man in
der Musik ernstlichem Suchen nicht sich hingegeben.
Wohl entsteht zu jeder Zeit Geniales und Bewunderungs
wertes, und ich stellte mich stets in die erste Reihe, die vor
überziehenden Fahnenträger freudig zu begrüßen; aber mir
will es scheinen, da
werden, zwar in schöne Weiten führen, aber nicht – nach
oben.
Der Geist eines Kunstwerkes, das Maß der Empfindung,
das Menschliche, das in ihm ist – sie bleiben durch wechselnde
Zeiten unverändert an Wert; die Form, die diese drei auf
nahm, die Mittel, die sie ausdrückten, und der Geschmack,
vergänglich und rasch alternd.
Geist und Empfindung bewahren ihre Art, so im Kunst
werk wie im Menschen; technische Errungenschaften, bereit
willigst erkannt und bewundert, werden überholt, oder der
Geschmack wendet sich von ihnen gesättigt ab. –
Die vergänglichen Eigenschaften machen das
eines Werkes aus; die unveränderlichen bewahren es
davor,
Absolut Modernes existiert nicht – nur früher oder später
Entstandenes; länger blühend oder schneller welkend. Immer
gab es Modernes, und immer Altes. –
Die Kunstformen sind um
an das Wesen der einzelnen Kunstgattung halten, je reiner
sie sich in ihren natürlichen Mitteln und Zielen bewahren.
Die Plastik verzichtet auf den Ausdruck der menschlichen
Pupille und auf die Farben; die Malerei degradiert, wenn
sie die darstellende Fläche verlä
koration oder zum Panoramabild kompliziert; –
die Architektur hat ihre Grundform, die von unten nach
oben zu schreiten mu
geschrieben; Fenster und Dach geben notgedrungen die mitt
lere und abschließende Ausgestaltung; diese Bedingungen
sind an ihr bleibend und unverletzbar; –
die Dichtung gebietet über den abstrakten Gedanken, den
sie in Worte kleidet; sie reicht an die weitesten Grenzen und
hat die größere Unabhängigkeit voraus:
aber alle Künste, Mittel und Formen erzielen beständig
das eine, nämlich die Abbildung der Natur und die
Wiedergabe der menschlichen Empfindungen.
Architektur, Plastik, Dichtung und Malerei sind alte und
Dessenungeachtet können und werden an ihnen Geschmack und
reife Künste; ihre Begriffe sind gefestigt und ihre Ziele sicher
geworden; sie haben durch Jahrtausende den Weg gefunden
und beschreiben, wie ein Planet, regelmäßig ihren Kreis.
Eigenschaft sich immer verjüngen und erneuern. –
Ihnen gegenüber ist die Tonkunst das Kind, das zwar
gehen gelernt hat, aber noch geführt werden mu
eine jungfräuliche Kunst, die noch nichts erlebt und gelitten
hat.
Sie ist sich selbst noch nicht bewu
der Vorzüge, die sie besitzt, und der Fähigkeiten, die in ihr
schlummern:
Schönes geben kann, schon viele erfreuen konnte und dessen
Gaben allgemein für völlig ausgereift gehalten werden.
Die Musik als Kunst, die sogenannte abendländische
Musik, ist kaum vierhundert Jahre alt, sie lebt im Zustande
der Entwicklung; vielleicht im allerersten Stadium einer
noch unabsehbaren Entwicklung, und wir sprechen von Klas
sikern und geheiligten Traditionen!
ist die nach dem Leben abgenommene Gipsmaske, die – durch den
Lauf vieler Jahre und die Hände ungezählter Handwerker gegangen –
schließlich ihre Ähnlichkeit mit dem Original nur mehr erraten lä
ein den Alten
.
Wir haben Regeln formuliert, Prinzipien aufgestellt, Ge
setze vorgeschrieben – – – wir wenden die Gesetze der
Erwachsenen auf ein Kind an, das die Verantwortung noch
nicht kennt!
So jung es ist, dieses Kind, eine strahlende Eigenschaft
ist an ihm schon erkennbar, die es vor allen seinen älteren
Gefährten auszeichnet. Und diese wundersame Eigenschaft
wollen die Gesetzgeber nicht sehen, weil ihre Gesetze sonst
über den Haufen geworfen würden. Das Kind – es schwebt!
Es berührt nicht die Erde mit seinen Füßen. Es ist nicht
der Schwere unterworfen. Es ist fast unkörperlich. Seine
Materie ist durchsichtig. Es ist tönende Luft. Es ist fast die
Natur selbst. Es ist frei.
Freiheit ist aber etwas, das die Menschen nie völlig be
griffen noch gänzlich empfunden haben. Sie können sie nicht
erkennen noch anerkennen.
Sie verleugnen die Bestimmung dieses Kindes und fesseln
es. Das schwebende Wesen mu
wie jeder andere, den Regeln des Anstandes sich fügen;
kaum, da
der Linie des Regenbogens zu folgen und mit den Wolken
Sonnenstrahlen zu brechen.
Frei ist die Tonkunst geboren und frei zu werden ihre
Bestimmung. Sie wird der vollständigste aller Natur
widerscheine werden durch die Ungebundenheit ihrer Un
materialität. Selbst das dichterische Wort steht ihr an Un
körperlichkeit nach; sie kann sich zusammenballen und kann
auseinanderfließen, die regloseste Ruhe und das lebhafteste
Stürmen sein; sie hat die höchsten Höhen, die Menschen
wahrnehmbar sind – welche andere Kunst hat das? –, und
ihre Empfindung trifft die menschliche Brust mit jener In
tensität, die vom
Sie gibt ein Temperament wieder, ohne es zu beschrei
der aufeinanderfolgenden Momente; dort, wo der Maler
oder der Bildhauer nur eine Seite oder einen Augenblick,
eine
perament und dessen Regungen mühsam durch angereihte
Worte mitteilt.
Darum sind Darstellung und Beschreibung nicht das
Wesen der Tonkunst; somit sprechen wir die Ablehnung der
Programm
Zielen der Tonkunst.
Absolute Musik!
absolute Musik
Gegenstand musikästhetischer Diskurse des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Wesentlich geprägt wurde die Formulierung 1854 durch
ist vielleicht das Entfernteste vom Absoluten in der Musik.
gramm, wobei die Form die wichtigste Rolle abgibt. Aber
gerade die Form steht der absoluten Musik entgegengesetzt,
die doch den göttlichen Vorzug erhielt
den Bedingungen der Materie frei zu sein. Auf dem Bilde
endet die Darstellung eines Sonnenunterganges mit dem
Rahmen; die unbegrenzte Naturerscheinung erhält eine vier
eckige Abgrenzung; die einmal gewählte Zeichnung der
Wolke steht für immer unveränderlich da. Die Musik kann
sich erhellen, sich verdunkeln, sich verschieben und endlich ver
hauchen wie die Himmelserscheinung selbst, und der Instinkt
bestimmt den schaffenden Musiker, diejenigen Töne zu ver
wenden, die in dem Innern des Menschen auf dieselbe
Taste drücken und denselben Widerhall erwecken
Vorgänge in der Natur.
Absolute Musik ist dagegen etwas ganz Nüchternes, welches
an geordnet aufgestellte Notenpulte erinnert, an Verhältnis
von Tonika und Dominante, an Durchführungen und Kodas.
Da höre ich den zweiten Geiger, wie er sich eine Quart
tiefer abmüht, den gewandteren ersten nachzuahmen, höre
einen unnötigen Kampf auskämpfen, um dahin zu gelangen,
wo man schon am Anfang stand. Diese Musik sollte viel
mehr die architektonische heißen, oder die symmetrische, oder
die eingeteilte, und sie stammt daher, da
dichter ihren Geist und ihre Empfindung in eine solche Form
gossen, weil es ihnen oder der Zeit am nächsten lag. Die
Gesetzgeber haben Geist, Empfindung, die Individualität
jener Tonsetzer und ihre Zeit mit der symmetrischen Musik
identifiziert und schließlich – da sie weder den Geist, noch
die Empfindung, noch die Zeit wiedergebären konnten – die
Form als Symbol behalten und sie zum Schild, zur Glaubens
lehre erhoben. Die Tondichter suchten und fanden diese Form
als das geeignetste Mittel, ihre Gedanken mitzuteilen; sie
entschwebten – und die Gesetzgeber entdecken und verwahren
Euphorions auf der Erde zurückgebliebene Gewänder:
Ist
allem Originalität fordert und da
Form verbietet? Was Wunder, da
wirklich originell wird – der Formlosigkeit anklagt.
zart
mit dem kindlichen Herzen, ihn staunen wir an, an ihm
seinen Durchführungen und Kodas.
Solche Befreiungslust erfüllte einen
romantischen Revolutionsmenschen, da
Schritt in der Zurückführung der Musik zu ihrer höheren
Natur aufstieg; einen kleinen Schritt in der großen Auf
gabe, einen großen Schritt in seinem eigenen Weg. Die
ganz absolute Musik hat er nicht erreicht, aber in einzelnen
Augenblicken geahnt, wie in der Introduktion zur Fuge der
Aber sobald sie die Schwelle des Hauptsatzes beschreiten,
wird ihre Haltung steif und konventionell wie die eines
Mannes, der in ein Amtszimmer tritt.
Neben Seine Passions
wandtesten. Seine Orgelfantasien (und nicht die Fugen)
haben unzweifelhaft einen starken Zug von Landschaftlichem
(dem Architektonisch
die man
seine Vorgänger hinwegschritt – (wenn er sie auch bewun
derte und sogar benutzte) – und weil ihm die noch junge
Errungenschaft der temperierten Stimmung vorläufig un
endlich neue Möglichkeiten erstehen ließ.
Darum sind Als die charakteristischen Merkmale von
möchte ich nennen: den dichterischen Schwung, die starke menschliche Emp
findung (aus welcher seine revolutionäre Gesinnung entspringt) und
eine Vorverkündung des modernen Nervosismus. Diese Merkmale sind
gewi
kein
weil seine Kunst die Andeutung einer größeren, noch nicht vollkommen
gewordenen, ist. (Man vergleiche den nächstfolgenden Absatz.)
aufzufassen und nicht als unzuübertreffende Abgeschlossen
heiten. Unübertrefflich werden wahrscheinlich ihr Geist und
ihre Empfindung bleiben; und das bestätigt wiederum das
zu Beginn dieser Zeilen Gesagte. Nämlich, da
findung und der Geist durch den Wechsel der Zeiten an Wert
nichts einbüßen, und da
ersteigt, jederzeit über die Menge ragen wird.
Was noch überstiegen werden soll, ist ihre Ausdrucks
form und ihre Freiheit.
der im Orchesterklang den irdischen Horizont streifte, der die
Ausdrucksform zwar steigerte, aber in ein System brachte
(Musikdrama, Deklamation, Leitmotiv), ist durch die selbst
geschaffenen Grenzen nicht weiter steigerungsfähig. Seine
Kategorie beginnt und endet mit ihm selbst; vorerst, weil er
sie zur höchsten Vollendung, zu einer Abrundung brachte;
sodann, weil die selbstgestellte Aufgabe derart war, da
sie von einem Menschen allein bewältigt werden konnte.
Er gibt uns zugleich mit dem Problem auch die Lösung
,
wie ich einmal von
hoven
werden. Sie mögen – wie alles im Weltsystem – nur
einen Kreis bilden; dieser ist aber von solchen Dimensionen,
da
erscheint.
Ein Kreis im großen Kreise.
Der Name
Sie ist als ein Gegensatz zur sogenannten
Musik aufgestellt worden, und die Begriffe haben sich so ver
härtet, da
den anderen Glauben halten, ohne eine dritte, außer und
über den beiden liegende Möglichkeit anzunehmen. In
Wirklichkeit ist die Programm
begrenzt wie das als absolute Musik verkündete, von
lickSchönheit
als oberstes kompositorisches Prinzip. Besonders die häufig als Formalismus missverstandene Formulierung Tönend bewegte Formen sind einzig und allein Inhalt und Gegenstand der Musik
Klang-Tapetenmuster
ist als bissige Anspielung auf die bei Arabeske
zu verstehen.
scher und symmetrischer Formeln, anstatt der Tonika
Dominantenverhältnisse hat sie das bindende dichterische, zu
weilen gar philosophische Programm als wie eine Schiene
sich angeschnürt.
Jedes Motiv – so will es mir scheinen – enthält wie
ein Samen seinen Trieb in sich. Verschiedene Pflanzen
samen treiben verschiedene Pflanzenarten, an Form, Blät
tern, Blüten, Früchten, Wuchs und Farben voneinander
abweichend.
– – –
sont innombrables, mais qui, sitôt les thèmes trouv
même en avoir établi tout le développement –
Selbst eine und dieselbe Pflanzengattung wächst an Aus
dehnung, Gestalt und Kraft
geartet. So liegt in jedem Motiv schon seine vollgereifte
Form vorbestimmt; jedes einzelne mu
doch jedes folgt darin der Notwendigkeit der ewigen Har
monie. Diese Form bleibt unzerstörbar, doch niemals sich
gleich.
Das Klangmotiv des programm
birgt die nämlichen Bedingungen in sich; es mu
schon bei seiner nächsten Entwicklungsphase – sich nicht
nach dem eigenen Gesetz, sondern nach dem des
mes
der ersten Bildung aus dem naturgesetzlichen Wege ge
bracht, gelangt es schließlich zu einem ganz unerwarteten
Gipfel, wohin nicht seine Organisation, sondern das Pro
gramm, die Handlung, die philosophische Idee vorsätzlich es
geführt.
Fürwahr, eine begrenzte, primitive Kunst! Gewi Vergleiche später die Sätze über die
es nicht mi
die Veranlassung zu dem ganzen Prinzip gegeben) –, aber
es sind wenige und kleine Mittel, die einen ganz geringen
Teil der Tonkunst ausmachen. Das wahrnehmbarste von
ihnen, die Erniedrigung des Klanges zu Schall, bei Nach
ahmung von Naturgeräuschen: das Rollen des Don
ners, das Rauschen der Bäume und die Tierlaute; und
schon weniger wahrnehmbar, symbolisch, die dem Gesichts
sinn entnommenen Nachbildungen, wie Blitzesleuchten,
Sprungbewegungen, Vogelflug; nur durch Übertragung
des reflektierenden Gehirns verständlich: das Trompeten
signal als kriegerisches Symbol, die Schalmei als ländliches
tens, der Choral als Träger der religiösen Empfindung.
Zählen wir noch das Nationalcharakteristische – National
instrumente, Nationalweisen – zum vorigen, so haben
wir die Rüstkammer der Programm
sichtigt. Bewegung und Ruhe, Moll und Dur, Hoch und
Tief
Inventar. Das sind gut verwendbare Nebenhilfsmittel in
einem großen Rahmen, aber allein genommen ebenso
Musik, als Wachsfiguren Monumente zu nennen sind.
Und was kann schließlich die Darstellung eines kleinen
Vorgangs auf Erden, der Bericht über einen ärgerlichen
Nachbar
im angrenzenden Weltteile – mit jener Musik, die durch
das Weltall zieht, gemeinsam haben?
Wohl ist es der Musik gegeben, die menschlichen Gemüts
zustände schwingen zu lassen: Angst (Leporello), Beklemmung,
Erstarkung, Ermattung (
schlu
Härte, Weichheit, Aufregung, Beruhigung, das Überraschende,
das Erwartungsvolle, und mehr; ebenso den inneren
Widerklang äußerer Ereignisse, der in jenen Gemütsstim
mungen enthalten ist. Nicht aber den Beweggrund jener
Seelenregungen selbst: nicht die Freude über eine beseitigte
Gefahr, nicht die Gefahr oder die Art der Gefahr, welche
die Angst hervorruft; wohl einen Leidenschaftszustand, aber
wiederum nicht die psychische Gattung dieser Leidenschaft,
Eigenschaften, Eitelkeit, Klugheit
gar abstrakte Begriffe, wie Wahrheit und Gerechtigkeit,
durch sie aussprechen zu wollen. Könnte man denken, wie
ein armer, doch zufriedener Mensch in Musik wiederzugeben
wäre? Die Zufriedenheit, der seelische Teil, kann zu Musik
werden; wo bleibt aber die Armut, das ethische Problem,
das hier wichtig war: zwar arm, jedoch zufrieden. Das
kommt daher, da
licher Zustände ist, die in der ewigen Harmonie nicht zu
finden ist. Musik ist aber ein Teil des schwingenden Weltalls.
Der größte Teil neuerer Theatermusik leidet an dem
Fehler, da
spielen, wiederholen will, anstatt ihrer eigentlichen Aufgabe
nachzugehen, den Seelenzustand der handelnden Personen
während jener Vorgänge zu tragen. Wenn die
Bühne die Illusion eines Gewitters vortäuscht,
durch das Auge erschöpfend wahrgenommen. Fast alle
Komponisten bemühen sich jedoch, das Gewitter in Tönen
zu beschreiben, welches nicht nur eine unnötige
Wiederholung, sondern auch ein
gabe ist. Die Person auf der Bühne wird entweder von
dem Gewitter seelisch beeinflu
folge von Gedanken, die es stärker in Anspruch nehmen, un
beirrt. Das Gewitter ist sichtbar und hörbar ohne Hilfe der
Musik; was aber in der Seele des Menschen währenddessen
vorgeht, das Unsichtbare und Unhörbare, das soll die Musik
verständlich machen.
Wiederum gibt es „sichtbare“ Seelenzustände auf der
Aus
Bühne, um die sich die Musik nicht zu kümmern braucht.
Nehmen wir die theatralische Situation,
Für bedingt gerechtfertigt halte ich den Modus der alten
Oper, welche die durch eine dramatisch
wonnene Stimmung in einem geschlossenen Stücke zusammen
fa
vermittelten den dramatischen Gang der Handlung, von der
Musik mehr oder weniger dürftig rezitativisch gefolgt; an
dem Ruhepunkt angelangt, nahm die Musik den Hauptsitz
wieder ein. Das ist weniger äußerlich, als man es jetzt
glauben machen will. Wieder war es aber die versteifte
Form der „Arie“ selbst, die zu der Unwahrheit des Aus
drucks und zum Verfall führte.
Immer wird das gesungene Wort auf der Bühne eine
Konvention bleiben und ein Hindernis für alle wahrhaftige
Wirkung:
wird eine Handlung, in welcher die Personen singend agieren,
von Anfang an auf das Unglaubhafte, Unwahre, Unwahr
scheinliche gestellt sein müssen, auf da
werden.
Schon deshalb, und weil er von vornherein dieses wichtigste
Prinzip ignoriert, sehe ich den sogenannten italienischen Veris
mus für die musikalische Bühne als unhaltbar an.
Bei der Frage über die Zukunft der Oper ist es nötig,
über diese andere Klarheit zu gewinnen: „An welchen Mo
menten ist die Musik auf der Bühne unerlä
präzise Antwort gibt diese Auskunft: „Bei
Tänzen, bei Märschen, bei Liedern und – beim Eintreten des Über
natürlichen in die Handlung.“
Es ergibt sich demnach eine kommende Möglichkeit in der
Idee des übernatürlichen Stoffes. Und noch eine: in der
des absoluten „Spieles“, des unterhaltenden Verkleidungs
treibens, der Bühne als offenkundige und angesagte Ver
stellung, in der Idee des Scherzes und der Unwirklichkeit
als Gegensätze zum Ernste und zur Wahrhaftigkeit des Lebens.
Dann ist es am rechten Platze, da
ihre Liebe beteuern und ihren Ha
melodisch im Duell fallen, da
sionen auf hohen Tönen Fermaten aushalten; es ist dann am
rechten Platze, da
im Leben, anstatt da
der Oper zumal) unabsichtlich alles verkehrt machen.
Es sollte die Oper des Übernatürlichen oder des Unnatür
lichen, als der allein ihr natürlich zufallenden Region der
Erscheinungen und der Empfindungen, sich bemächtigen und
dergestalt eine Scheinwelt schaffen, die das Leben entweder
in einen Zauberspiegel oder einen Lachspiegel reflektiert; die
zu finden ist. Der Zauberspiegel für die ernste Oper, der
Lachspiegel für die heitere. Und lasset Tanz und Masken
spiel und Spuk mit eingeflochten sein, auf da
der anmutigen Lüge auf jedem Schritt gewahr bleibe und
nicht sich ihr hingebe wie einem Erlebnis.
So wie der Künstler, wo er rühren soll, nicht selber gerührt
werden darf – soll er nicht die Herrschaft über seine Mittel
im gegebenen Augenblicke einbüßen –, so darf auch der
Zuschauer, will er die theatralische Wirkung kosten, diese
niemals für Wirklichkeit ansehen, soll nicht der künstlerische
Genu
steller „spiele“ – er erlebe nicht. Der Zuschauer bleibe un
gläubig und dadurch ungehindert im geistigen Empfangen
und Feinschmecken.
Auf solche Voraussetzungen gestützt, ließe sich eine Zukunft
für die Oper sehr wohl erwarten. Aber das erste und stärkste
Hindernis, fürchte ich, wird uns das Publikum selbst bereiten.
Es ist, wie mich dünkt, angesichts des Theaters durchaus
kriminell veranlagt, und man kann vermuten, da
von der Bühne ein starkes menschliches Erlebnis wohl des
halb fordern, weil ein solches in ihren Durchschnittsexistenzen
fehlt; und wohl auch deswegen, weil ihnen der Mut zu
solchen Konflikten abgeht, nach welchen ihre Sehnsucht ver
langt. Und die Bühne spendet ihnen diese Konflikte, ohne
die begleitenden Gefahren und die schlimmen Folgen, un
kompromittierend, und vor allem: unanstrengend. Denn
das weiß das Publikum nicht und mag es nicht wissen, da
selben vom Empfänger selbst verrichtet werden mu
Der Vortrag in der Musik stammt aus jenen freien
Höhen, aus welchen die Tonkunst selbst herabstieg. Wo ihr
droht, irdisch zu werden, hat er sie zu heben und ihr zu ihrem
ursprünglichen „schwebenden“ Zustand zu verhelfen.
Die Notation, die Aufschreibung, von Musikstücken ist
zuerst ein ingeniöser Behelf, eine Improvisation festzuhalten,
um sie wiedererstehen zu lassen. Jene verhält sich aber zu
dieser wie das Portrait zum lebendigen Modell. Der Vor
tragende hat die Starrheit der Zeichen wieder aufzulösen
und in Bewegung zu bringen. –
Die Gesetzgeber aber verlangen, da
die Starrheit der Zeichen wiedergebe, und erachten die Wieder
gabe für um
hält.
Was der Tonsetzer notgedrungen von seiner Inspiration Wie sehr die Notation den Stil in der Musik beeinflu Dieses merkwürdigen Mannes Gehirnvorstellungen, die sich in das
durch die Zeichen einbüßt
tasie fesselt, wie aus ihr die „Form“ sich bildete und aus der Form
der „Konventionalismus“ des Ausdrucks entstand, das zeigt sich recht
eindringlich, das rächt sich in tragischer Weise an
der mir hier als ein typisches Beispiel einfällt.
Traumhafte verloren und im Transzendentalen schwelgten, wie seine
Schriften in oft unnachahmlicher Weise dartun, hätten – so würde
der Töne erst recht die geeignete Sprache und Wirkung finden müssen.
Die Schleier der Mystik, das innere Klingen der Natur, die Schauer
des Übernatürlichen, die dämmerigen Unbestimmtheiten der schlaf
wachenden Bilder – alles, was er mit dem präzisen Wort schon so
eindrucksvoll schilderte, das hätte er – man sollte denken – durch die
Musik erst völlig lebendig erstehen lassen. Man vergleiche dagegen
schen Produktionen, und man wird mit Trauer wahrnehmen, wie ein über
nommenes System von Taktarten, Perioden und Tonarten – zu dem
noch der landläufige Opernstil der Zeit das Seinige tut – aus dem
Dichter einen Philister machen konnte. Wie aber ein anderes Ideal
der Musik ihm vorschwebte, entnehmen wir aus vielen und oft ausge
zeichneten Bemerkungen des Schriftstellers selbst. Von ihnen schließt
die folgende der Denkungsart dieses Büchleins am engsten sich an:Nun! immer weiter fort und fort treibt der waltende Weltgeist; nie
kehren die verschwundenen Gestalten, so wie sie sich in der Lust des Lebens
bewegten, wieder: aber ewig, unvergänglich ist das Wahrhaftige, und
eine wunderbare Geistergemeinschaft schmiegt ihr geheimnisvolles Band
um Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Noch leben geistig die
alten hohen Meister; nicht verklungen sind ihre Gesänge: nur nicht
vernommen wurden sie im brausenden, tosenden Geräusch des ausge
lassenen wilden Treibens, das über uns einbrach. Mag die Zeit der
Erfüllung unseres Hoffens nicht mehr fern sein, mag ein frommes Leben
in Friede und Freudigkeit beginnen und die Musik frei und kräftig ihre
Seraphschwingen regen, um aufs neue den Flug zu dem Jenseits zu
beginnen, das ihre Heimat ist und von welchem Trost und Heil in die
unruhevolle Brust des Menschen hinabstrahlt.
(
Den Gesetzgebern sind die Zeichen selbst das Wichtigste,
sie werden es ihnen mehr und mehr; die neue Tonkunst
wird aus den alten Zeichen abgeleitet, – sie bedeuten nun
die Tonkunst selbst.
Läge es nun in der Macht der Gesetzgeber, so mü
und dasselbe Tonstück stets in ein und demselben Zeitmaß
erklingen, sooft, von wem und unter welchen Bedingungen
es auch gespielt würde.
Es ist aber nicht möglich, die schwebende expansive Natur
teil. Jeder Tag beginnt anders als der vorige und doch
immer mit einer Morgenröte. – Große Künstler spielen
ihre eigenen Werke immer wieder verschieden, gestalten sie
im Augenblicke um, beschleunigen und halten zurück – wie
sie es nicht in Zeichen umsetzen konnten – und immer nach
den gegebenen Verhältnissen jener „ewigen Harmonie“.
Da wird der Gesetzgeber unwillig und verweist den
Schöpfer auf dessen eigene Zeichen. So, wie es heute steht,
behält der Gesetzgeber recht.
gegenwärtig ein recht mi
Begriff. Die häufige Opposition, die ich mit
tionen
Kritik in mir hervorrief, veranla
über diesen Punkt Klarheit zu gewinnen. Was ich endgültig
darüber denke, ist: Jede Notation ist schon Transkription
eines abstrakten Einfalls. Mit dem Augenblick, da die Feder
sich seiner bemächtigt, verliert der Gedanke seine Original
gestalt. Die Absicht, den Einfall aufzuschreiben, bedingt
schon die Wahl von Taktart und Tonart. Form
mittel, für welche der Komponist sich entscheiden mu
bestimmen mehr und mehr den Weg und die Grenzen.
Es ist ähnlich wie mit dem Menschen. Nackt und mit
noch unbestimmten Neigungen geboren, entschließt er sich
oder wird er in einem gegebenen Augenblick zum Entschlu
getrieben, eine Laufbahn zu wählen. Mag auch vom Ein
fall oder vom Menschen manches Originale, das unver
wüstlich ist, weiterbestehen: sie sind doch von dem Augen
gedrückt. Der Einfall wird zu einer Sonate oder zu einem
Konzert, der Mensch zum Soldaten oder zum Priester. Das ist
ein Arrangement des Originals. Von dieser ersten zu einer
zweiten Transkription ist der Schritt verhältnismäßig kurz
und unwichtig. Doch wird im
zweiten Aufhebens gemacht. Dabei übersieht man, da
eine Transkription die Originalfassung nicht zerstört, also
ein Verlust dieser durch jene nicht entsteht. –
Auch der Vortrag eines Werkes ist eine Transkription,
und auch dieser kann – er mag noch so frei sich gebärden –
niemals das Original aus der Welt schaffen.
– Denn das musikalische Kunstwerk steht, vor seinem
Ertönen und nachdem es vorübergeklungen, ganz und un
versehrt da. Es ist zugleich in und außer der Zeit, und
sein Wesen ist es, das uns eine greifbare Vorstellung des
sonst ungreifbaren Begriffes von der Idealität der Zeit
geben kann.
Im
meisten
vom Klavier – und sind
Merkwürdigerweise steht bei den
die Variationenform in großem Ansehen. Das ist seltsam,
weil die Variationenform – wenn sie über ein fremdes
Thema aufgebaut wird – eine ganze Reihe von Bearbeitungen
gibt, und zwar um
sind.
So gilt die Bearbeitung nicht, weil sie an dem Original
Eine Einleitung
bearbeitet.
Um das Wesen
–
der
des Lesers zu künstlerischer Würde zu erhöhen, bedarf es nur der
Nennung
Bearbeiter eigener und fremder Stücke, namentlich als Organist. Von
ihm lernte ich die Wahrheit erkennen, daß eine gute, große, eine uni
verselle Musik dieselbe Musik bleibt, durch welche Mittel sie auch ertönen
mag. Aber auch die andere Wahrheit: daß verschiedene Mittel eine
verschiedene – ihnen eigene – Sprache haben, in der sie den nämlichen
Gehalt in immer neuer Deutung verkünden.Es kann der Mensch
Man
nicht schaffen, nur verarbeiten, was er auf seiner Erde vorfindet.
bedenke überdies, da
durch Absicht teils und teils durch die Zufälle, die so zahlreiche mit
wirkende Elemente hineintragen, zu einer Bearbeitung wird und werden
mu
Giovanni
– wie auch bei der
die Szenen (und innerhalb der Szenen die Vorgänge) immer wieder
zu variieren und umzustellen. Auch hörte ich (leider) niemals, da
Kritik gegen die Übersetzung des
gewehrt hätte; wenngleich eine Übersetzung überhaupt (bei diesem
Meisterwerk des Zusammengusses von Text und Musik nun besonders)
als eine der bedenklichsten Bearbeitungen sich herausstellt.
Die einzige Art Menschen, die man musikalisch nennen sollte, wären
hört, und die Anwendung des Wortes selbst findet sich in
dieser Sinnübertragung in keiner anderen Sprache. Es
ist ein Begriff, der den Deutschen angehört und nicht der
allgemeinen Kultur, und seine Bezeichnung ist falsch und
unübersetzbar.
so ist das dasselbe, als ob
ich sagte:
der physikalischsten. Musikalisch ist: was in Rhythmen und
Intervallen tönt. Ein Schrank kann
wenn er ein
die Sänger, weil sie selbst erklingen können. In derselben Weise könnte
ein Clown, der durch einen Trick Töne von sich gibt, sobald man ihn
berührt, ein nachgemachter
musikalischer Mensch heißen.
Sinne kann
deuten.
Meine Verse sind zu musikalisch, als da
sagte mir einmal
Musik gesetzt werden könnten,
kannter Dichter
schreibt
einem
In der angewandten und fast ausschließlich gebrauchten
deutschen Bedeutung ist ein musikalischer Mensch ein solcher,
der dadurch Sinn für Musik bekundet, dass er das Tech
nische dieser Kunst wohl unterscheidet und empfindet. Unter
Technischem verstehe ich hier wieder den Rhythmus, die
Harmonie, die Intonation, die Stimmführung und die
Thematik. Je mehr Feinheiten er darin zu hören oder
wiederzugeben versteht, für um
halten.
Bei dem großen Gewicht, das man auf diese Bestand
sche
ein Künstler, der technisch vollkommen spielt, für den meist
musikalischen Spieler gelten; weil man aber mit
nur die mechanische Beherrschung des Instrumentes meint,
so hat man
macht.
Man ist so weit gegangen, ein Musikstück selbst als
kalischDiese Kompositionen sind aber so musikalisch
, sagte mir einmal
ein Geiger von einem vierhändigen Werkchen, das ich zu unbedeutend
fand.
ponisten wie
nügendem Maße.
er kennzeichnet den damit Betroffenen und macht ihn zum
Geächteten.
In einem Lande wie
lische Freuden allgemein ist, wird diese Unterscheidung über
flüssig, und das Wort dafür ist in der Sprache nicht vor
handen. In
nicht im Volke lebt, gibt es Musiker und Nichtmusiker. Von
den übrigen einige
, oder
. Nur in
Ehrensache daraus,
nur Liebe zur Musik zu empfinden, sondern hauptsächlich sie
in ihren technischen Ausdrucksmitteln zu verstehen und deren
Gesetze einzuhalten.
Tausend Hände halten das schwebende Kind und bewa
chen wohlmeinend seine Schritte, da
und so vor einem ernstlichen Fall bewahrt bleibe. Aber es
kommen. Wenn es aufhören wird,
Gefühl ist eine moralische Ehrensache – wie die Ehrlich
keit es ist —, eine Eigenschaft, die niemand sich absprechen
lä
Leben Gefühllosigkeit zugunsten einer brillanteren Cha
raktereigenschaft – wie beispielsweise Tapferkeit, Unbestech
lichkeit – noch verziehen wird, in der Kunst ist sie als
oberste moralische Qualität gestellt.
Gefühl (in der Tonkunst) fordert aber zwei Gefährten:
Geschmack und Stil. Nun trifft man im Leben ebenso selten
auf Geschmack wie auf tiefes und wahres Gefühl, und was
den Stil anbelangt, so ist er künstlerisches Gebiet. Was
übrigbleibt, ist eine Vorstellung von Gefühl, das mit Rühr
seligkeit und Geschwollenheit bezeichnet werden mu
vor allem verlangt man seine deutliche Sichtbarkeit! Es
mu
höre. Es wird vor den Augen des Publikums in starker
Vergrößerung auf die Leinwand projektiert, so da
dringlich und verschwommen vor den Augen tanzt; es wird
ausgeschrien, da
die Ohren dringe; übergoldet, auf da
Staunen entreiße.
Denn auch im Leben übt man mehr die Äußerungen des
Gefühls, in Mienen und Worten; seltener und echter ist
jenes Gefühl, welches handelt, ohne zu reden, und am wert
vollsten ein Gefühl, das sich verbirgt.
Unter Gefühl versteht man gemeinhin: Zartheit, Schmerz
lichkeit und Überschwenglichkeit des Ausdrucks.
Was schließt nicht noch alles in sich die Wunderblume
rung, Stärke, Tätigkeit, Geduld, Großmut, Freudigkeit
und jene allwaltende Intelligenz, von welcher das Gefühl
recht eigentlich stammt.
Nicht anders in der Kunst, die das Leben widerspiegelt,
noch ausgesprochener in der Musik, welche die Empfindungen
des Lebens wiederholt: wozu jedoch – wie ich betone –
der Geschmack hinzutreten mu
der Kunst vom Leben unterscheidet.
Worum der Laie, der mediokere Künstler sich mühen, ist
nur das Gefühl im
Gefühl im
blikum (und leider auch die Kritik!) mit Mangel an Emp
findung, weil sie alle nicht vermögen, größere Strecken als
Teile eines noch größeren Ganzen zu hören. Also ist Gefühl
auch Ökonomie.
Demnach unterscheide ich: Gefühl als Geschmack – als
Stil – als Ökonomie. Jedes ein Ganzes und jedes ein
Drittel des Ganzen. In ihnen und über ihnen waltet eine
subjektive Dreieinigkeit: das Temperament, die Intelligenz
und der Instinkt des Gleichgewichtes.
Diese sechs führen einen Reigen von so subtiler Anord
nung der Paarung und der Verschlingung, des Tragens
und des Getragenwerdens, des Vortretens und Nieder
bückens, des Bewegens und Stillstehens, wie kein kunst
vollerer erdenkbar ist.
Ist der Akkord der beiden Dreiklänge rein gestimmt, dann
darf, soll zum Gefühl sich gesellen die Phantasie: Auf jene
sechs gestützt, wird sie nicht ausarten, und aus dem Vereine
aller Elemente ersteht die Persönlichkeit. Diese empfängt
wie eine Linse die Lichteindrücke, wirft sie auf ihre Weise
Bild.
Insoweit der Geschmack an dem Gefühle teilhat, ändert
dieses – wie alles – mit den Zeiten seine Ausdrucksformen.
Das heißt: eine oder die andere Seite des Gefühls wird
zu der einen oder der anderen Zeit bevorzugt, einseitig ge
pflegt, besonders herausgekehrt.
So war mit und nach
lichkeit an die Reihe gekommen: die Form der
im Affekt haben die Komponisten noch heute nicht über
wunden. Jedem ruhigen Beginnen folgte ein rasches Auf
wärtstreiben. Der darin unersättliche, aber nicht unerschöpf
liche
einem erreichten Höhepunkte wieder leise anzusetzen, um
sofort von neuem anzuwachsen.
Die neueren Franzosen zeigen eine Umkehr:
ist eine reflexive Keuschheit, vielleicht mehr noch eine zurück
gehaltene Sinnlichkeit:
mäßigkeit gefolgt.
So bildet sich im Gefühl der
es leitet.
Die
Musik den Begriff der Tiefe. Er steht noch in vollem Werte,
zumal im germanischen Land. – Es gibt eine Tiefe des
Gefühls und eine Tiefe des Gedankens: –
literarisch und kann keine Anwendung auf Klänge haben.
Die Tiefe des Gefühls ist hingegen seelisch und der Natur
der Musik durchaus zugehörig.
Die Apostel der
Die Tiefe wird zur Breite, und man trachtet, sie durch
Schwere zu erreichen:
dankenassoziationen – in der Bevorzugung der
gister und (wie ich beobachten konnte) auch in einem Hinein
deuten eines zweiten, verborgenen Sinnes, meist eines lite
rarischen.
Wenn auch nicht die einzigen Merkmale, so sind doch diese
die bedeutsameren.
Unter Tiefe des Gefühls dürfte jedoch jeder Freund der
Philosophie das Erschöpfende im Gefühle betrachten: das
volle Aufgehen in einer Stimmung.
Wer mitten in einer echten, großen karnevalischen Si
tuation griesgrämig oder auch nur indifferent herumschleicht,
wer nicht von der gewaltigen Selbstsatire des Masken
und Fratzentums, der Macht der Unbändigkeit über die Ge
setze, dem freigelassenen Rachegefühl des Witzes mitgerissen
und mitergriffen wird, der zeigt sich unfähig, sein Gefühl
in die Tiefe zu senken.
Hier bestätigt sich wieder, da
in dem vollständigen Erfassen einer jeden – selbst der
leichtfertigsten – Stimmung ihre Wurzeln hat, – im
Wiedergeben ihre Blüten treibt: wohingegen die gang
bare Vorstellung vom tiefen Gefühle nur eine Seite
des Gefühls im Menschen herausgreift und diese speziali
siert.
In dem sogenannten
Der Schaffende soll kein überliefertes Gesetz auf Treu
und Glauben hinnehmen und sein eigenes Schaffen jenem
gegenüber von vornherein als Ausnahme betrachten. Er
mü
Gesetz suchen, formen und es nach der ersten vollkommenen
Anwendung wieder zerstören, um nicht selbst bei einem näch
sten Werke in Wiederholungen zu verfallen.
Die Aufgabe des Schaffenden besteht darin, Gesetze auf
Der einem nachgeht, überholt ihn nicht, soll
zustellen, und nicht, Gesetzen zu folgen. Wer gegebenen Ge
setzen folgt, hört auf, ein Schaffender zu sein.
sagt haben. Und über die nützliche Anwendung der Kopien
äußert
sich noch viel drastischer ein italienischer Spruch.
Die Schaffenskraft ist um
sie von Überlieferungen sich zu machen vermag. Aber die
Absichtlichkeit im Umgehen der Gesetze kann nicht Schaffens
kraft vortäuschen, noch weniger erzeugen.
Der echte Schaffende erstrebt im Grunde nur die Voll
endung. Und indem er diese mit seiner Individualität in
Einklang bringt, entsteht absichtslos ein neues Gesetz.
Routine wird sehr geschätzt und oft verlangt; im Musik
überhaupt existieren und da
siker geforderten Bedingung gemacht werden kann, beweist
aber wiederum die engen Grenzen unserer Tonkunst. Rou
tine bedeutet: Erlangung und Anwendung weniger Erfah
rungen und Kunstgriffe auf alle vorkommenden Fälle.
geben. Nun erträume ich mir gern eine Art Kunstaus
übung, bei welcher jeder Fall ein neuer, eine Ausnahme
wäre! Wie stünde das Heer der Praktiker hilf
los davor:
verschwinden. Die Routine wandelt den Tempel der Kunst
um in eine Fabrik. Sie zerstört das Schaffen. Denn
Schaffen heißt: aus
gedeiht im Nachbilden. Sie ist die Poesie, die sich komman
. Weil sie der Allgemeinheit entspricht, herrscht
dieren lä
sie. Im Theater, im Orchester, im Virtuosen, im Unterricht.
Man möchte rufen:
als ob ihr nie begonnen hättet, wisset nichts, sondern denkt
und fühlet!
Denn seht, die Millionen Weisen, die einst ertönen werden,
sie sind seit Anfang vorhanden, bereit, schweben im Äther
und mit ihnen andere Millionen, die niemals gehört werden.
Ihr braucht nur zu greifen, und ihr haltet eine Blüte, einen
Hauch des Meeresatems, einen Sonnenstrahl in der Hand;
meidet die Routine, denn sie greift nur nach dem, das eure
Stube erfüllt, und immer wieder nach dem nämlichen:
bequem werdet ihr, da
stuhl erhebt und nur mehr nach dem Allernächsten greift.
Und Millionen Weisen sind seit Anfang vorhanden und
warten darauf, sich zu offenbaren!
Das ist mein Unglück, da
schreibt einmal
des
Da heißt’s denn nun:Mach’ den– Das ist recht schön. Wie aber, wenn ich denTristan fertig, dann wollen wir sehen!Tristan nun nicht fertig machte, weil ich ihn nicht fertig machen könnte? Mir ist, als sollte ich nun vor dem – Ziele (?) – endlich verschmachtend zusammenbrechen. Wenigstens sehe ich mir täglich mit recht gutem Willen mein Buch an, aber der Kopf bleibt wüst, das Herz leer, und ich starre hinaus in die Nebel- und Regenwolken, die undurchdringlich seit meinem Hiersein mir selbst die Aussicht, durch erfrischende Excursionen mein trübes Blut etwas aufzurütteln, unerfüllt lassen. Da heißt’s denn – nun, arbeite nur, dann wird’s schon wieder gehen! Vortrefflich; ich armer Teufel habe aber so ganz und gar keine Routine, und wenn’s nicht von selbst geht, kann ich eben nichts machen. Recht lieblich das! Und dazu nun so gar keine Chance, mir auf einem andren Wege zu helfen. Alles verrannt und versperrt! Nur die Arbeit soll mir helfen: aber, was hilft mir dazu, daß ich eben arbeiten kann? – Offenbar habe ich zuwenig von dem, was Du zuviel hast!
Damit täuschte sich
deren. Er hatte zu
der nur mit Inspiration zu lösen war. Zwar löste
ihn schließlich, wenn es ihm gelang, die Routine beiseite zu
lassen; hätte er aber wirklich keine besessen, so hätte er es
ohne Bitterkeit behauptet.
Immerhin drückt sich in dem
richtige künstlerische Verachtung für die Routine aus, in
sofern als er diese ihn niedrig dünkende Eigenschaft sich
selbst abspricht und vorbeugt, da
Er lobt sich selbst damit und gebärdet sich ironisch
Er ist tatsächlich unglücklich, da
tröstet sich aber reichlich mit dem Bewu
über der billigen Handhabung der Routine steht; zugleich
kehrt er den Bescheidenen hervor, indem er schmerzlich ein
gesteht, eine allgemein geschätzte und dem Handwerk zuge
hörige Könnerschaft nicht sich angeeignet zu haben.
Der Satz ist ein Meisterstück der instinktiven Schlauheit
des Erhaltungstriebes – beweist uns aber (und das ist
unser Ziel) die Geringheit der Routine im Schaffen.
So eng geworden ist unser Tonkreis, so stereotyp seine
Eine solche Spielerei unternahm ich einmal mit einem Freunde, um
Ausdrucksform, da
gibt, auf das nicht ein anderes bekanntes Motiv pa
da
Um nicht mich hier in Spielereien zu verlieren
scherzeshalber festzustellen, wie viele von den verbreiteten Musikstücken
nach dem Schema des zweiten Themas im Adagio der
phonie
zehn Analogien der verschiedensten Gattung beisammen, darunter welche
Und als das Hauptmotiv des
Plötzlich, eines Tages, schien es mir klar geworden: da
die Entfaltung der Tonkunst an unseren Musikinstrumenten
scheitert. Die Entfaltung des Komponisten an dem Stu
dium der Partituren. Wenn
finierte, ein
kann nichts anderes bedeuten); – wenn Musik – (dieses
habe ich jedenfalls ausgesprochen) – zur
nämlich zu ihrem eigenen reinen Wesen zurückstreben soll
(ein
– wenn sie Konventionen und Formeln wie ein verbrauch
tes Gewand ablegen und in schöner Nacktheit prangen soll;
– diesem Drange stehen die musikalischen Werkzeuge zu
nächst im Wege. Die Instrumente sind an ihren Umfang,
ihre Klangart und ihre Ausführungsmöglichkeiten festge
kettet, und ihre hundert Ketten müssen den Schaffenwollen
den mitfesseln.
Vergeblich wird jeder freie Flugversuch des Komponisten
Und das ist das Siegreiche in
sein; in den allerneuesten Partituren und noch in solchen
der nächsten Zukunft werden wir immer wieder auf die Eigen
tümlichkeiten der Klarinetten, Posaunen und Geigen stoßen,
die eben nicht anders sich gebärden können, als es in ihrer
Beschränkung liegt;
dernen
nachgab. Hingegen ist es nicht zu leugnen, da
saunensatz
Wohnung nahm.
der Instrumentalisten in der Behandlung ihres Instrumen
tes; der vibrierende Überschwang des Violoncells, der
der Oboe, die prahlhafte Geläufigkeit der Klarinette; der
art, da
drungen immer wieder dasselbe Klangbild sich zusammen
formt und da
Unabänderliche hinein
Vielleicht, da
dieser Grenzen ausgebeutet wurden – die polyphone Har
monik dürfte noch manches Klangphänomen erzeugen
können –, aber die Erschöpftheit wartet sicher am Ende einer
Bahn, deren längste Strecke bereits zurückgelegt ist. Wo
hin wenden wir dann unseren Blick, nach welcher Richtung
führt der nächste Schritt?
Ich meine, zum abstrakten Klange, zur hindernislosen
Technik, zur tonlichen Unabgegrenztheit. Dahin müssen alle
Bemühungen zielen, da
erstehe.
Der zum Schaffen Geborene wird zuerst die negative,
die verantwortlich
ten, Gehörten und Scheinbar
um, nach der vollendeten Räumung, eine inbrünstig
tische Gesammeltheit in sich zu beschwören, die ihn befähigt,
den inneren Klang zu erlauschen und zur weiteren Stufe
zu gelangen, diesen auch den Menschen mitzuteilen. Diesen
der legendarischen Persönlichkeit krönen. Der ersten Offen
barung wird sodann eine Epoche religiöser Musikgeschäftig
keit folgen, daran kein Zunftwesen einen Teil haben kann, in
sofern als die Berufenen und Eingeweihten unverkennbar,
und nur diese die Vollbringenden sein werden. An diesem
Zeitpunkt leuchtet die vollste Blüte, vielleicht die erste in
Dekadenz beginnt und die reinen Begriffe sich verwirren
und wie der Orden entweiht wird …
Es ist das Schicksal der Späteren, und wir – heute –
sind ihnen ähnlich, wie die Kindheit dem Greisenalter.
Was in unserer heutigen Tonkunst ihrem Urwesen am
nächsten rückt, sind die Pause und die Fermate. Große
Vortragskünstler, Improvisatoren, wissen auch dieses Aus
druckswerkzeug im höheren und ausgiebigeren Maße zu
verwerten. Die spannende Stille zwischen zwei Sätzen,
in dieser Umgebung selbst Musik, lä
bestimmtere, aber deshalb weniger dehnbare Laut vermag.
unser
von jener ewigen Harmonie festzuhalten; eine kümmerliche
Taschenausgabe jenes enzyklopädischen Werkes; künstliches
Licht anstatt Sonne. – Habt ihr bemerkt, wie die Menschen
über die glänzende Beleuchtung eines Saales den Mund
aufsperren? Sie tun es niemals über den millionenmal
stärkeren Mittagssonnenschein. –
Und auch hier sind die Zeichen bedeutsamer geworden
als das, was sie bedeuten sollen und nur andeuten können.
Wie wichtig ist doch die
und
nicht geben kann!
Wir haben die Oktave in zwölf gleich voneinander ent
So haben wir durch
fernte Stufen abgeteilt, weil wir uns irgendwie behelfen
mu
können. Namentlich die Tasteninstrumente haben unser
Ohr gründlich eingeschult, so da
anderes zu hören – als nur im Sinne der Unreinheit.
Und die Natur schuf eine unendliche Abstufung – unendlich!
Die gleichschwebende zwölfstufige Temperatur, welche bereits seit
ca.
gestellt wurde (durch
gleiche Teile (Halbtöne, daher
mit Mittelwerte, welche kein Intervall wirklich rein, aber alle leidlich
brauchbar intonieren.Temperatur
; Busoni zitiert die 5. Auflage (1900), S. 1124.
der Kunst, das
brauchbaren Intervallen gewonnen. Was ist aber rein und was un
rein? Unser Ohr hört ein verstimmtes Klavier, bei welchem vielleicht
Das diplomatische Zwölfersystem ist ein notgedrungener Behelf, und
doch wachen wir über die Wahrung seiner Unvollkommenheiten. –
Und innerhalb dieser zwölfteiligen Oktave haben wir noch
Man nennt es
eine Folge bestimmter Abstände abgesteckt, sieben an der
Zahl, und darauf unsere ganze Tonkunst gestellt. Was sagte
ich, eine Folge? Zwei solche Folgen, die Dur
Skala. Wenn wir dieselbe Folge von Abständen von einer
anderen der zwölf Zwischenstufen aus ansetzen, so gibt es eine
neue Tonart, und sogar eine fremde! Was für ein ge
waltsam beschränktes System diese erste Verworrenheit er
gab,
steht in den Gesetzbüchern zu lesen: wir wollen es
nicht hier wiederholen.
Wir lehren vierundzwanzig Tonarten, zwölfmal die beiden
Siebenfolgen, aber wir verfügen in der Tat nur über zwei:
nur Transpositionen. Man will durch die einzelnen Trans
positionen einen verschiedenen Charakter entstehen hören:
aber das ist eine Täuschung. In
Stimmung herrscht, werden die bekanntesten Werke um
einen halben Ton höher gespielt, als sie notiert sind, ohne da
ihre Wirkung verändert wird. Sänger transponieren zu
ihrer Bequemlichkeit ihre Arie und lassen, was dieser vor
ausgeht und folgt, untransponiert spielen.
Liederkomponisten geben ihre eigenen Werke nicht selten
in drei verschiedenen Höhen der Notation heraus; die Stücke
bleiben in allen drei Ausgaben vollkommen die nämlichen.
Wenn ein bekanntes Gesicht aus dem Fenster sieht, so
gilt es gleich, ob es vom ersten oder vom dritten Stockwerk
herabschaut.
Könnte man eine Gegend, so
mehrere hundert Meter erhöhen oder vertiefen, das land
schaftliche Bild würde dadurch nichts verlieren noch ge
winnen.
Auf die beiden Siebenfolgen, die Dur
Moll
Einschränkung fordert die andere.
Man hat jeder der beiden einen bestimmten Charakter
So schrieb ich
zugesprochen, man hat gelernt und gelehrt, sie als Gegen
sätze zu hören, und allmählich haben sie die Bedeutung von
Symbolen erreicht – Dur und Moll –
– Befriedigung und Unbefriedigung – Freude und Trauer
– Licht und Schatten. Die harmonischen Symbole haben
den Ausdruck der Musik, von
Ohr ein klein wenig erziehen geholfen.
in derselben Absicht gebraucht und übt dieselbe Wirkung auf
uns aus, heute wie vor zweihundert Jahren. Einen Trauer
marsch kann man heute nicht mehr
ist ein für allemal schon vorhanden. Selbst der ungebilde
te
– irgendwelcher! – ertönen soll. Selbst der Laie fühlt
den Unterschied zwischen einer Dur
voraus.
Seltsam, da
findet. Tragen sie doch beide dasselbe Gesicht; jeweilig
heiterer und ernster; und ein kleiner Pinselstrich genügt, eines
in das andere zu kehren. Der Übergang vom einen zum
zweiten ist unmerklich und mühelos – geschieht er oft und
rasch, so beginnen die beiden unerkenntlich ineinander zu
flimmern. Erkennen wir aber, da
doppeldeutiges Ganzes und da
arten
sind, so gelangen wir ungezwungen zum Bewu
Einheit unseres Tonartensystems. Die Begriffe von ver
wandt und fremd fallen ab – und damit die ganze ver
wickelte Theorie von Graden und Verhältnissen. Wir
haben eine einzige Tonart. Aber sie ist sehr dürftiger Art.
Einheit der Tonart.
– Sie meinen wohl
Sonnenstrahl und seine Zerlegung in Farben?
Nein, nicht das kann ich meinen. Denn unser ganzes
Ton
heit selbst nur der Teil eines Bruchteils eines zerlegten
Strahls jener Sonne
Harmonie
So
in des Menschen Weise und Wesen liegen – so sehr sind
Energie und Opposition gegen Bestehendes die Eigenschaften
alles Lebendigen. Die Natur hat ihre Kniffe und überführt
die Menschen, die gegen Fortschritt und Änderungen wider
spenstigen Menschen; die Natur schreitet beständig fort und
ändert unablässig, aber in so gleichmäßiger und unwahr
nehmbarer Bewegung, da
sehen. Erst der weitere Rückblick zeigt ihnen das Über
raschende, da
Deshalb erregt der
Menschen aller Zeiten, weil seine Änderungen zu unvermittelt
und vor allem, weil sie wahrnehmbar sind. Der Reformator
ist – im Vergleich zur Natur – undiplomatisch, und es ist
ganz folgerichtig, da
keit erlangen, wenn die Zeit den eigenmächtig vollführten
Sprung wieder auf ihre feine
hat. Doch gibt es Fälle, wo der Reformator mit der Zeit
gleichen Schritt ging, indessen die übrigen zurückblieben.
Und da mu
über die versäumte Strecke zu springen. Ich glaube, da
Dur
da
gebliebenheit darstellen.
Da
der Siebenfolge noch anders geordnet (graduiert) werden
können, ist in vereinzelten Momenten bereits bei
in der heutigen musikalischen Vorwärtsbewegung ausge
sprochener zur Erscheinung gekommen. Der Drang und
die Sehnsucht und der begabte Instinkt sprechen daraus.
Doch scheint
stellung dieser erhöhten Ausdrucksmittel sich geformt habe.
Ich habe den Versuch gemacht, alle Möglichkeiten der
Abstufung der Siebenfolge zu gewinnen, und es gelang mir,
durch Erniedrigung und Erhöhung der Intervalle 113 ver
schiedene Skalen festzustellen. Diese 113 Skalen (inner
halb der Oktave C–C) begreifen den größten Teil der
bekannten
Tonarten von eigenartigem Charakter. Damit ist aber der
Schatz nicht erschöpft, denn die
zelnen dieser 113 steht uns ebenfalls noch offen und über
dies die Vermischung zweier (und weshalb nicht mehrerer?)
solcher Tonarten in Harmonie und Melodie.
Die Skala c des es fes ges as b c klingt schon bedeutend
anders als die desc als ihren
Grundton annimmt. Legt man ihr noch den gewöhnlichen
C
neue harmonische Empfindung. Man höre aber dieselbe Ton
leiter abwechselnd, vom EsC
Dreiklang gestützt, und man wird sich der angenehmsten Über
raschung über den fremdartigen Wohllaut nicht erwehren
können.
Wohin aber würde ein Gesetzgeber die Tonfolgen c des
es fes g a h c | c des es f ges a h c | c d es fes ges
a h c | c des e f ges a b c | oder gar:
Welche Reichtümer sich damit für den melodischen und
harmonischen Ausdruck dem Ohr öffnen, ist nicht sogleich
zu übersehen; eine Menge neuer Möglichkeiten ist aber
zweifellos anzunehmen und auf den ersten Blick erkennbar.
Mit dieser Darstellung dürfte die Einheit aller Tonarten
endgültig ausgesprochen und begründet sein. Kaleidoskopi
sches Durcheinanderschütteln von zwölf Halbtönen in der
Dreispiegelkammer des Geschmacks, der Empfindung und
der Intention: das Wesen der heutigen Harmonie.
Der heutigen Harmonie und nicht mehr auf lange:
denn alles verkündet eine Umwälzung und einen nächsten
Schritt zu jener „ewigen“. Vergegenwärtigen wir uns noch
einmal, da
und trachten wir, der Unendlichkeit um ein weniges uns
zu nähern. Der Drittelton pocht schon seit einiger Zeit an
die Pforte, und wir überhören noch immer seine Meldung.
Wer, wie ich es getan, damit, wenn auch bescheiden, ex
perimentierte und – sei es mit der Kehle oder auf einer
Geige – zwischen einem Ganzton zwei gleichmäßig abstehen
de Zwischentöne einschaltete, das Ohr und das Treffen übte,
der wird zur Einsicht gelangt sein, da
kommen selbständige Intervalle von ausgeprägtem Cha
rakter sind, mit verstimmten Halbtönen nicht zu verwechseln.
Es ist eine verfeinerte Chromatik, die uns vorläufig auf
der ganztönigen Skala zu basieren scheint. Führten wir
dieselbe unvermittelt ein, so verleugneten wir die Halbtöne,
verlören die
eines
Es ist aber kein Grund ersichtlich, seinetwegen mit den
Halbtönen aufzuräumen. Behalten wir zu jedem Ganzton
einen Halbton, so erhalten wir eine zweite Reihe von Ganz
tönen, die um einen halben Ton höher steht als die erste.
Teilen wir diese zweite Reihe von Ganztönen in Drittel
teile ein, dann ergibt sich zu jedem Drittelton der unteren
Reihe ein entsprechender Halbton in der oberen.
Somit ist eigentlich ein Sechsteltonsystem entstanden, und
da
wir vertrauen. Das Tonsystem, das ich eben entwerfe, soll
aber vorerst das Gehör mit Dritteltönen füllen, ohne auf
die Halbtöne zu verzichten.
Um es zusammenzufassen: Wir stellen entweder zwei
Reihen Dritteltöne, voneinander um einen halben Ton ent
fernt, auf; oder: dreimal die übliche Zwölftonreihe im
Abstande von je einem Drittelton.
Nennen wir, um sie irgendwie zu unterscheiden, den ersten
Ton C und die beiden nächsten Dritteltöne Cis und Des;
den ersten Halbton (klein-)c und seine folgenden Drittcis und des; – die vorhergehende Tabelle erklärt alles
Fehlende.
Die Frage der Notation halte ich für nebensächlich. Wichtig
und drohend ist dagegen die Frage, wie und worauf diese
Töne zu erzeugen sind. Es trifft sich glücklich, da
der Arbeit an diesem Aufsatz eine direkte und authentische
Nachricht aus Amerika erhalte, welche die Frage in einfacher
Weise löst. Es ist die Mitteilung von Dr. Thaddeus Cahills
Erfindung.
Über diesen transzendentalen Tonerzeuger berichtet
gebung bei allen Instrumenten führte Dr. Cahill
Material, Indisposition, Temperatur, klimatische Zustände beeinträch
tigen die Zuverlässigkeit eines jeden. Der Klavierspieler verliert die
Macht über den absterbenden Klang der Saite von dem Augenblick an,
wo die Taste angeschlagen wurde. Auf der Orgel kann die Empfindung
an der festgehaltenen Note nichts ändern. Dr. Cahill
eines Instruments, welches dem Spieler die absolute Kontrolle über
jeden zu erzeugenden Ton und über dessen Ausdruck gewährte. Er
nahm sich die Theorien
die Verhältnisse der Zahl und der Stärke der Obertöne zum Grund
ton den Ausschlag über den Klangcharakter der verschiedenen Instrumente
geben. Demnach konstruierte er zu dem Apparat, welcher den Grund
ton schwingen lä
jeder einen der Obertöne erzeugt, und konnte solche in beliebiger An
ordnung und Stärke dem Grundton zuhäufen. So ist jeder Klang einer
mannigfaltigsten Charakterisierung fähig, sein Ausdruck auf das emp
findlichste dynamisch zu regeln, die Stärke vom fast unhörbaren Pia
nissimo bis zur unerträglichen Lautmacht zu produzieren. Und weil das
Fähigkeit bewahrt, der Eigenart eines Künstlers zu folgen.
Eine Reihe solcher Klaviaturen, von mehreren Spielern gespielt, kann
zu einem Orchester zusammengestellt werden.
Der Bau des Instrumentes ist außerordentlich umfangreich und kost
spielig, und sein praktischer Wert mü
Zum Vermittler der Schwingungen zwischen dem elektrischen Strom
und der Luft wählte der Erfinder das Telephon-Diaphragma. Durch
diesen glücklichen Einfall ist es möglich geworden, von einer Zentralstelle
aus nach allen den mit Drähten verbundenen Plätzen selbst auf große
Entfernungen hin, die Klänge des Apparates zu versenden; und ge
lungene Experimente haben erwiesen, da
den Feinheiten noch von der Macht der Töne etwas eingebüßt wird.
Der in Verbindung stehende Raum wird zauberhaft mit Klang er
füllt, einem wissenschaftlich vollkommenen, niemals versagenden Klang;
unsichtbar, mühelos und unermüdlich. Dem Bericht, dem ich diese Nach
richten entnehme, sind authentische Photographien des Apparates bei
gegeben, welche jeden Zweifel über die Wirklichkeit dieser allerdings
fast unglaublichen Schöpfung beseitigen. Der Apparat sieht aus wie
ein Maschinenraum.
Nur ein gewissenhaftes und langes Experimentieren, eine
fortgesetzte Erziehung des Ohres
Material einer heranwachsenden Generation und der Kunst
gefügig machen.
Welch schöne Hoffnungen und traumhafte Vorstellun
gen erwachen für sie! Wer hat nicht schon im Traume
Nehmen wir es uns doch vor, die Musik ihrem Urwesen
zurückzuführen; befreien wir sie von architektonischen, aku
stischen und ästhetischen Dogmen; lassen wir sie reine Er
findung und Empfindung sein, in Harmonien, in Formen
und Klangfarben (denn Erfindung und Empfindung sind
nicht allein ein Vorrecht der Melodie); lassen wir sie der
Linie des Regenbogens folgen und mit den Wolken um die
Wette Sonnenstrahlen brechen; sie sei nichts anderes als
die Natur
ihr wieder zurückgestrahlt; ist sie doch tönende Luft und über
die Luft hinausreichend; im Menschen selbst ebenso uni
versell und vollständig wie im Weltenraum; denn sie kann
sich zusammenballen und auseinanderfließen, ohne an
Intensität nachzulassen.
In seinem Buche
Gegen die deutsche Musik halte ich mancherlei Vorsicht
für geboten. Gesetzt, daß manBei den Süden liebt, wie ichNietzsche 1886 (219) :Einer.
ihn liebe, als eine große Schule der Genesung, im Geistig
sten und Sinnlichsten, als eine unbändige Sonnenfülle
und Sonnenverklärung, welche sich über ein selbstherrliches,
an sich glaubendes Dasein breitet: nun, ein solcher wird sich
etwas vor der deutschen Musik in acht nehmen lernen, weil
sie, indem sie seinen Geschmack zurückverdirbt, ihm die Ge
sundheit mit zurückverdirbt.Ein solcher Südländer, nicht der Abkunft, sondern dem
GlaubenBei nach, muß, falls er von der Zukunft der MusikNietzsche 1886 (220) Glaubenmit Hervorhebung.
träumt, auch von einer Erlösung der Musik vom Norden
träumen und das Vorspiel einer tieferen, mächtigeren, vielleicht böseren und geheimnisvolleren Musik in seinen Ohren
haben, einer überdeutschen Musik, welche vor dem Anblick
des blauen, wollüstigen Meeres und der mittelländischen
Himmelshelle nicht verklingt, vergilbt, verblaßt, wie es alle
deutsche Musik tut, einer übereuropäischen Musik, die noch
vor den braunen Sonnenuntergängen der Wüste recht be
hält, deren Seele mit der Palme verwandt ist und unter
großen, schönen, einsamen Raubtieren heimisch zu sein und
zu schweifen versteht. – –Ich könnte mir eine Musik denken, deren seltenster Zauber
darin bestände, daß sie von Gut und Bösenichts mehr Hier macht sich
Nietzsche eines Widerspruchs schuldig; träumt er
vorher von einer vielleicht „böseren“ Musik, so denkt er sich jetzt eine
Musik, dievon Gut und Böse nichts mehr wü; – doch war mirte ß ss
bei der Anführung um den letzteren Sinn zu tun.
wüßte, nur daß vielleicht irgendein Schifferheimweh, irgend
welche goldne Schatten und zärtliche Schwächen hier und
da über sie hinwegliefen: eine Kunst, welche von großer Ferne
her die Farben einer untergehenden, fast unverständlich
gewordenen moralischen Welt zu sich flüchten sähe, und die
gastfreundlich und tief genug zum Empfang solcher späten
Flüchtlinge wäre …
Und
sikempfindung werden,
wenn er in
Weder auf dem See, noch an den Bergen, noch am
Himmel eine einzige gerade Linie, eine einzige ungemischte
Farbe, ein einziger Ruhepunkt – überall Bewegung, Un
regelmäßigkeit, Willkür, Mannigfaltigkeit, unaufhörliches
Ineinanderfließen von Schatten und Linien, und in allem
die Ruhe, Weichheit, Harmonie und Notwendigkeit des
Schönen.
Nicht alle erreichen das Nirwana; aber jener, der von
Anfang an begabt, alles kennenlernt, was man kennen
soll, alles durchlebt, was man durchleben soll, verläßt, was
man verlassen soll, entwickelt, was man entwickeln soll,
verwirklicht, was man verwirklichen soll, der gelangt zum
Nirwana.
Wie auf Verabredung schreibt mir dieser Tage (
d’Indy.... laissant de côté les contingences et les petitesses de
–
la vie pour regarder constamment vers un idéal, qu’on ne pourra ja
mais atteindre, mais dont il est permis de se rapprocher.
Ist Nirwana das Reich Ich
Jenseits von Gut und Böse
,
so ist hier ein Weg dahin gewiesen. Bis an die Pforte.
Bis an das Gitter, das Menschen und Ewigkeit trennt –
oder das sich auftut, das
seits der Pforte ertönt Musik. Keine Tonkunst.
glaube gelesen zu haben, daDante
beiden Sätze Inferno und
Purgatorio
weil unsere
Tonsprache für die Seligkeiten des Paradieses nicht ausreichte.
Druck der Diererschen Hofbuchdruckerei in