Brief von Ferruccio Busoni an Paul Bekker (Zürich, 19./20. August 1920) Letter by Ferruccio Busoni to Paul Bekker (Zurich, 19/20 August 1920) Ferruccio Busoni Prepared by Morten Grage Digitization by Yale University, Irving S. Gilmore Music Library, New Haven, CT Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin Berlin Attribution-NonCommercial-ShareAlike 4.0 International (CC BY-NC-SA 4.0) Ferruccio Busoni – Briefe und Schriften Briefe Briefwechsel Ferruccio Busoni – Paul Bekker Christian Schaper Ullrich Scheideler USA New Haven (CT) Gilmore Music Library The Paul Bekker Papers MSS 50, I.A. Correspondence - Individual, A-E: Box 2, Folder 23 Busoni dankt Bekker für die Auseinandersetzung mit seiner Bach-Ausgabe und bittet um die Würdigung in einem Artikel; schlägt ihm einen Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung zum Zustand der Musik vor. als ich ich Ihnen den 2.Band Bach zusenden liessß 1 Blatt 2 beschriebene Seiten Der Brief ist gut erhalten. Hand des Absenders Ferruccio Busoni, Brieftext in schwarzer Tinte, in lateinischer Schreibschrift. Poststempel (schwarze Tinte) Dr. F.Ferruccio Busoni Z.Zürich VI. Zürich 3 19.VIII.20. – 17 VIII Bahnhof Zürich 3 19.VIII.20. – 17 VIII Bahnhof
Herrn Paul Bekker Hofheim im Taunus Kapellenstrassße 2
[Rückseite des Briefumschlags, vacat]
Der Brief wurde in Zürich vermutlich am 19. August 1920 verfasst (Poststempel), ist aber auf den 20. vordatiert.

Erfassung von Briefen und Schriften von Ferruccio Busoni, ausgehend von Busonis Nachlass in der Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz.

Worttrennungen an Zeilenumbrüchen im Original mit einfachen Bindestrichen.

Alle im Text vorkommenden Interpunktionszeichen wurden beibehalten und werden in der diplomatischen Umschrift wiedergegeben. Bei Auszeichnung durch XML-Elemente wurden umgebende Satzzeichen nicht mit einbezogen.

Anführungszeichen wurden i. d. R. nicht beibehalten; die Art der Zeichen wurde im Attribut rend der entsprechenden Elemente codiert.

Die Übertragung folgt den Editionsrichtlinien des Projekts.

Busoni, Ferruccio Zürich Bekker, Paul Vorlagen-Datei erstellt, Transkription ausstehend, status todo. Transkription begonnen, status unfinished Codierung, Transkription und Kommentierung vorläufig abgeschlossen, status proposed.
20. Aug.August 1920 Hochverehrter Herr Paul Bekker,

als ich Ihnen den 2.zweiten Band Bach Gemeint ist der zweite Band des Wohltemperierten Klaviers in der von Busoni herausgebenen Bach-Ausgabe (erschienen bei Breitkopf & Härtel); vgl. den vorangegangenen Brief Bekkers an Busoni vom 16. August 1920. zusenden liessß, beabsichtigte ich nicht im Entferntesten, Sie damit zum Handeln zu veranlassen. Sollte Ihnen die Arbeit aber wichtig genug erscheinen, so waeäre ich allerdings durch eine Würdigung derselben aus Ihrer Feder sehr beglückt. – Andere Werke sollen Ihnen gern nachgeschickt werden; Anscheinend wurden Bekker noch weitere Bände aus der Bach-Ausgabe zugesandt, darunter fälschlicherweise der von Busonis Mitarbeiter Egon Petri bearbeitete Band 9 (, S. 756) . Bekker bezog sich in seinem Artikel vom 11. Juni 1921 jedoch nur auf die ersten zwei Bände, die Busonis Ausgabe des Wohltemperierten Klaviers enthalten (vgl. , S. 1f.). für das geäußerte Interesse danke ich Ihnen erkenntlichst.

Dem Schweizerland konnte der Grundgedanke Ihres schönen Aufsatzes unmöglich behagen: Vgl. den vorangegangenen Brief Bekkers. Der Artikel Die Rückkehr zur Natur sollte ursprünglich im Schweizerland veröffentlicht werden, erschien aber stattdessen am 12. Juni 1920 in der Frankfurter Zeitung. die Rettung ins Dorf Busoni paraphrasiert hier aus Bekkers Aufsatz Die Rückkehr zur Natur. Dort heißt es richtig: während die Politik sich immer mehr zum Denken in überstaatlichen und überkontinentalen Begriffen bequemen mußss, wird in der Kunst — das Dorf als Rettung gepriesen.(Paul Bekker, Die Rückkehr zur Natur, in: Kritische Zeitbilder, S. 327–336, hier S. 327f.) traf es jageradezu in seinen Kern! Sie scheinen die Gegend nicht zu kennen .....*

Ich freue mich, Sie wieder einmal gedruckt zu lesen, gönne Ihnen jedoch die so nöthigen Ferien.

Mit freundlichsten Grüssßen Ihr hochachtend uund herzlich ergebener F. Busoni

*– es wäre aber recht wünschens werth (u.und an der Zeit), daßss sie etwa in der Neuen Zürcher einiges Aufklärende und Zurechtrückende publizierten. Zu einem solchen Artikel kam es nicht. Der früheste Beitrag Bekkers in der Neuen Zürcher Zeitung stammt aus dem Jahre 1922, ein Bericht über das Tonkünstlerfest in Düsseldorf (vgl. , 714 f.). Ich dachte (wenn ich mich so weit wagen darf –) an eine Schrift wo stehen wir?, Mit diesem Titel bezieht sich Busoni hier möglicherweise auf einen musikästhetischen Artikel Bekkers aus dem Jahr 1913 in der Frankfurter Zeitung: Wohin treiben wir (in: Paul Bekker, Kritische Zeitbilder, S. 247–259). darin alles Lebendig=erhaltene, Verblasste, Überwundene auf gezählt u.und auf seinen Platz ge stellt würde, aus dem die Musik literatur, – die wir aus Gewohnheit u.und Trägheit – gedankenlos weiter pflegen, statuten=mäßig sich zusammensetzt. Ihr Schlagwort zuviel Beethoven Wahrscheinlich bezieht sich Busoni auf Bekkers soeben (am Morgen des 19. August 1920) erschienenen Artikel Beethoven-Feste, in dem die gehäuften Aufführungen im Beethoven-Jahr 1920 kritisiert werden: Alles aber, was man bis jetzt an Vorankündigungen von Musikveranstaltungen […] hört, ist geeignet, stilles Grauen vor dem nächsten Musikwinter zu wecken, vor der Beethovenflut, die sich in sinnloser Fülle über die Menschen ergießen wird. […] Wer Beethoven wirklich kennt und erlebt, weiß, daßss seine Kunst viel zu feurig und ergreifend ist, […] um in Massen und in der Häufigkeit eines Kaffeekränzchens genossen werden zu können. (, S. 2). und die lichte Kritik über Brahms (anlässlich des Quartett-Zyklus) Busoni bezieht sich auf die im Juni 1920 erschienene Rezension Bekkers eines Konzertzyklus des Rosé-Quartetts in Frankfurt, bei dem neben Werken von Mozart und Schubert Kammermusik von Brahms zur Aufführung kam. Bekker kritisiert hier: Den Hörern öffnete er eine Welt, die nicht groß, aber klar und rein gesehen war, sich gegen alles Neuzeitliche, alles Werdende, Drängende, Problematische fest abschloßss und das Gewesene nochmals in bestimmter, reifer, persönlich erfasster Nachbildung neu entstehen ließ. Sehr schön in sich, menschlich oft warm und ergreifend, denn in Brahms lebte ein Dämon unter der Maske des Philisters. Aber dabei doch eigentlich eng – nur eine wahrhaft arme, unfruchtbare Zeit konnte […] einen solchen Künstler des geistigen Rückzuges als einen ihrer Repräsentanten erkennen und feiern. (, S. 1). gäben treffliche Ausgangspunkte. Wie gefällt Ihnen das Thema?

F. B.