Brief von Hans Huber an Ferruccio Busoni (Locarno, vmtl. 16. Januar 1918) Hans Huber Prepared by Maximilian Furthmüller Digitization by Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin Berlin Attribution-NonCommercial-ShareAlike 4.0 International (CC BY-NC-SA 4.0) Ferruccio Busoni – Briefe und Schriften Briefe Briefwechsel Ferruccio Busoni – Hans Huber Christian Schaper Ullrich Scheideler Deutschland Berlin Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv Nachlass Ferruccio Busoni Mus.Nachl. F. Busoni B II, 2301 Mus.ep. H. Huber 75 (Busoni-Nachl. B II) Kalliope-Verbund DE-611-HS-622178 Huber erkundigt sich nach Busonis soeben absolvierten Abonnementkonzerten in Zürich; berichtet angetan von einem Artikel zu Pfitzners Palestrina von Bruno Goetz; bittet um künstlerische Unterstützung für Lennart von Zweygberg; fragt nach einem passenden Lehrer für seinen Schüler Franz Josef Hirt. Mercoledi heute morgen bin ich mit dem Gedanken an Ihre solistische Unterstützung 1 Bogen 4 beschriebene Seiten Der Brief ist gut erhalten. Hand des Absenders Hans Huber, Brieftext in schwarzer Tinte, in deutscher Kurrentschrift. Hand des Empfängers Ferruccio Busoni, Datierung mit schwarzer Tinte Hand des Archivars, der die Foliierung mit Bleistift vorgenommen hat. Hand des Archivars, der die ursprüngliche Zuordnung innerhalb des Busoni-Nachlasses mit Bleistift vorgenommen hat. Hand des Archivars, der die erneute Zuordnung innerhalb des Busoni-Nachlasses mit Bleistift vorgenommen hat. Hand des Archivars, der die Zuordnung innerhalb des Busoni-Nachlasses mit Rotstift vorgenommen hat. Hand des Archivars, der eine Nummerierung innerhalb der Korrespondenz mit Rotstift vorgenommen hat. Bibliotheksstempel (rote Tinte) Der Brief wurde in Locarno vmtl. am 16. Januar 1918 verfasst.

Erfassung von Briefen und Schriften von Ferruccio Busoni, ausgehend von Busonis Nachlass in der Staatsbibliothek zu Berlin · Preußischer Kulturbesitz.

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Mus.ep. H. Huber 75 (Busoni-Nachl. B II) [1] Locarno Mercoledi Ital.: Mittwoch (16. Januar 1918). 15 Jan 1918 Da Huber den Brief auf Mittwoch datiert und sich retrospektiv auf Busonis Konzerte vom 14./15. Januar 1918 bezieht, ist Busonis Datierung auf den 15. Januar 1918 (Dienstag) vermutlich falsch. Solche Vordatierungen um einen Tag durch den Empfänger sind kein Einzelfall; vgl. etwa den Brief vom 8. November 1917. 23 Lieber Freund!

heute morgen bin ich mit dem Gedanken an Ihre solistische Unter stützung des letzten Abonnementskzt’skonzerts in Zürich erwacht &und nehme an, daßss Ihnen die Durchführung der heterogenen &und doch nur einen halben Ton von einander entfernten Aufgaben Mus.Nachl. F. Busoni B II, 2301 so geglückt ist, daßss Sie sich noch einige Tage in dem Glanze des Erlebten freuen dürfen. Busoni hatte am 14. und 15. Januar in Zürich unter Leitung von Volkmar Andreae mit dem Orchester der Tonhalle-Gesellschaft Mozarts Klavierkonzert d-Moll KV 466 sowie das Klavierkonzert Nr. 1 Es-Dur von Franz Liszt gespielt. Ursprünglich war Mozarts Klavierkonzert c-Moll KV 491 geplant; Busoni entschied sich, wie er Andreae am 9. Oktober 1917 mitteilte, aber für das Konzert in d-Moll: Inzwischen habe ich mir 3 Mozart’sche Klavierkonzerte durchgesehen u. gefunden, daß das d moll das bedeutsamste bleibt; dass im Übrigen […] sie alle ziemlich nach einem Schnitt gestaltet sind (vgl. Willimann 1994, S. 60 f.). Auf dem Programm standen außerdem die 4. Symphonie von Gustav Mahler sowie die Ouvertüre Le Carneval romain von Hector Berlioz (vgl. Weindel 1999, S. 395). In dieser eigentlich selbstverständlichen Annahme möchte ich Sie um die Beantwortung folgd.folgender drei Fragen bitten, die aber kein retour de courrier Frz.: eilige Rückmeldung, postwendende Antwort. verlangen.

Wer ist Bruno Goetz? Ich begreife vollständig; wenn Sie mir sagen, daßss derselbe in Ihrem Freundeskreise lebt! Bruno Goetz hatte Busoni im Mai 1917 in Zürich kennengelernt und zählte bald zu dessen engstem Freundeskreis (vgl. Weindel 2015, S. 1078). Denn er besitzt die sichere UeÜber legenheit, die auch aus Ihnen herausströmt, wenn Sie das Polemische reizt. Noch selten hat mir ein Urtheil über ein an krankhafter Abnormität leidendes Schaffen, oder ein an parasitischer Ausbildung einzelner künstlerischer Organe auf Kosten anderer gesegnetes Individuum so imponiert Deutsche Staatsbibliothek Berlin wie in diesem Artikel der Zürcherschen Zeitschrift! In der NZZ vom 10. Dezember 1917 war ein Artikel von Goetz erschienen, der Pfitzners Palestrina scharf kritisierte. Die ansonsten weithin gefeierte Uraufführung des Werks (Rectanus 2005, Sp. 469) war in der NZZ als das Sprödeste und Trockenste, was man seit langem gehört hat, abgetan worden (R. B. 1917, Sp. 3). Goetz’ Artikel stellt jedoch einen vernichtenden Verriss dar: dieser Musik fehlt es an lebendigem, göttlichem, freiem Geist; sie ist trocken, abstrakt gelehrt und gelegentlich sogar brutal. Sie ist tief im Sinne jener, denen Schwerfälligkeiten gleichbedeutend mit Tiefe sind (Goetz 1917, Sp. 6). Seelisch kam ich nie zu einem Verhältnißs zu den Werken Pfitzners, nur fiel mir immer eine Mischung von Jüdischem &und Christlichem sehr unan genehm in die Ohren. Ob das Aandere nie empfunden haben? Dieser Vorwurf gegen Pfitzner, einen latenten Antisemiten (Rectanus 2005, Sp. 489), muss, ebenso wie zuvor genannten drastischen Kritikpunkte, vor dem Hintergrund der schwelenden Auseinandersetzung Busonis mit Pfitzner gelesen werden. Dieser hatte 1917 Busoni mit der Veröffentlichung seiner Schrift Futuristengefahr als Reaktion auf den Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst polemisch angegriffen (Riethmüller 2005, Sp. 1384), da er sich und sein (der Vergangenheit verpflichtetes) Werk durch das revolutionäre Gedankengut von Busonis Schrift in den Grundfesten angegriffen sah (Vogel 1999, S. 12 ff.). Die Betroffenheit Busonis über Pfitzners Attacke schlug sich auch im Briefwechsel mit Huber nieder (vgl. v. a. den Brief vom 26. Mai 1917); Huber war also über den Konflikt genau im Bilde. Am Abend sitzt Herr von Zweygberg hie &und da bei mir in einem Kreise von Malern und Sculptoren. Dabei mag es sich u. a. um die Künstler Knut Åkerberg und Otto Roos handeln, welche mit Huber in Locarno verkehrten (vgl. Refardt 1944, S. 67 f.). Aus dem schweigsamen, nach Ihnen I i nnen verkehrenden, [2] aber sympathischen Manne habe ich entziffern nnen, daßss er seine Kunst, die er vor einigen Wochen in Basel mit Erfolg ausgeübt hat, mehr in die Welt heraustragen möchte. Ob es wirklich künstlerische Lust ist, oder ob Existenzfragen dabei mitwirken, weiß ich nicht. Auf alle Fälle hat er Aspirationen auf Ihre Mithilfe, weßshalb ich eher, annehme, daßss dabei eher künstlerische Motive mitvi brieren. In Basel will ich selbstverständlich durch meine Freunde das Konzert arrangieren &und prosperieren praeäparieren laßssen. Nur wenn Sie mit ihm die beiden Städte Lugano &und Locarno z. bB. im März besuchen würden? Da hätten Sie jedenfalls einen großen Erfolg! Wie gern möchte ich dem jungen retpublikanischen Nach der russischen Oktoberrevolution hatte Finnland am 6. Dezember 1917 seine Unabhängigkeit erklärt und war im Januar 1918 von der Russischen SFSR sowie vielen weiteren Staaten anerkannt worden. Finnländer dieses Glück gönnen! Vermutlich bezieht sich Hubers Bitte um Unterstützung für Lennart von Zweygberg auf ein seit Februar 1917 geplantes Konzert Busonis mit Zweygberg (Brief vom 5. Februar 1917), das am 2. oder 16. März 1917 im Basler Konservatorium stattfinden sollte und für Zweygberg von einiger wirtschaftlicher Bedeutung war (Brief vom 8. Februar 1917). Busoni vertagte das Vorhaben jedoch (Brief vom 9. Februar 1917) und ließ Hubers Bitte um Ersatztermine (Brief vom 11. Februar 1917) offenbar unbeantwortet. Da das fragliche Konzert in der zwischenzeitlichen Korrespondenz keine Rolle mehr spielt, wurde vermutlich kein Ersatztermin gefunden. Huber erinnert Busoni folglich an eine alte Abmachung. Ich besitze einen vorzüglichen Schüler in der Person des Bruders vom Basler Konzertmeister Fritz Hirt. Seit langer Zeit ist dieser Franz-Joseph Josef Hirt die begabteste Künstlernatur – auch in wißssenschaftlicher Beziehung aufgeweckt –, die mir begegnete. Im Herbst möchte ich ihn auf entwöhnen &und einem anderen Lehrer übergeben. Ich spreche mit diesen Termini, weil der Jüngling mein Pathenkind repräesentiert. Und nun: soll ich ihn Petri schicken? Hirt, seit 1913 Privatschüler Hubers und 1916–1918 Schüler des Basler Konservatoriums, führte tatsächlich seine Studien bei Petri fort (Refardt 1928, S. 135). Auch scheint Hirt am 8. April 1918 Busoni vorgespielt zu haben (Brief vom 9. April an Huber). Der Briefwechsel BusoniPetri weist diesbezüglich keine Hinweise auf (vgl. Weindel 1999). Mit dieser Dreiheit schicke ich Ihnen eine Vielheit von lieben Grüßen an Aalle Lieben Ihres Hauses &und zeichne als Ihr treuer Hans Huber